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Was ich nicht erklären kann, dass seh' ich astronomisch an

Das „Phänomen Astroarchäologie“

(überarbeitet am 18.01.2019)

In diesem Vortrag soll weniger von einzelnen astronomisch interpretierbaren archäologischen Denkmälern die Rede sein, als vielmehr davon, mit welchen Forschungsproblemen sich die Wissenschaft herumschlagen muss, wenn sie sich in einem Bereich bewegt, an dem sowohl die Naturwissenschaft Astronomie bzw. Astrophysik als auch die Archäologie als Geschichts- bzw. Kulturwissenschaft ihren Anteil hat.

Viele populärwissenschaftliche Berichte etwa über prähistorische Steinsetzungen setzen ihre astronomische Ausrichtung einfach voraus, untermalen im Fernsehen diese Behauptung mit beeindruckenden Lichtspielen an den Denkmälern zur Sonnenwende, häufig umrahmt von imposanter Musik wie „Also sprach Zarathustra“.

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Stonehenge - eines der typisch dramatisch gehaltenen Bilder des Mekkas für Esoteriker und Pseudowissenschaftler, Bildquelle: Ken Geiger

Und wenn prähistorische Kulturen angeblich zu unterentwickelt für systematische Himmelsbeobachtung gewesen sind, dann bekommen sie halt Hilfe von außen. Häufig müssen die Ägypter für die Vermittlung astronomischer Erkenntnisse in der europäischen Frühzeit herhalten, beliebt sind auch altamerkanische Kulturen und Außerirdische als Paten für Stonehenge oder die Steinsetzungen im französischen Carnac.

Zusammengefasst wird dieses Durcheinander aus purer Rechnerei, esoterischer Pseudowissenschaft und sogar rassistisch-völkischem Gehabe unter dem arg strapazierten Begriff der „Astroarchäologie“. So ist nur verständlich, dass die Schulwissenschaft sich mit diesem Bereich schwer tut.

Mein Anliegen ist nicht, pauschal jedes astronomische Wissen in prähistorischen Zeiten zu verneinen. Ich möchte das Auditorium sensibilisieren und einige Aussagen hinterfragen, die in so manchem Fachbuch der „Geschichte der Astronomie“ kritiklos vorgegeben werden.

Zunächst sollten wir uns lösen von dem Gedanken, dass die „Astroarchäologie“ oder auch „Archäoastronomie“ eine selbstständige Wissenschaft ist. Die Art und Weise, wie eine Kultur den Himmel über sich wahrnahm und interpretierte, kann nur ein Teilaspekt der Erforschung dieser Kultur sein (R. Heinrich, Hephaistos 9, 1988, 187ff).

Archaeoastronomie-Titelblatt

Eines der “Zentralorgane” Archäoastronomen weltweit war über lange Zeit die in Maryland herausgegebene Zeitschrift Archaeoastronomy, hier die Ausgabe 8, 1985 mit dem jungen Alexander Thom als Aufmacher.

So hat sich die Astronomie im Mittelmeerraum gänzlich anders entwickelt als etwa jene der Chinesen oder Azteken. Auch hatte sie einen ganz unterschiedlichen Stellenwert.

Überhaupt ist die Frage zu stellen, ob „Astronomie“ im Sinne der Erkenntnissuche betrieben wurde, oder ob wir es lediglich mit einer weitgehend unreflektierten Beobachtung und Aufzeichnung himmelsmechanischer Vorgänge zu tun haben.

Himmelsbeobachtung war im Alten Ägypten, in Mesopotamien oder auch in der traditionellen chinesischen Astronomie Mittel zum Zweck. Um Aussaat und Ernte zu planen, das Staatswesen zu organisieren. Auch um etwa noch exaktere Horoskope zu erstellen oder das Kalendersystem zu perfektionieren.

Einer nicht nachweisbaren Legende nach verloren um das Jahr 2200 vuZ zwei chinesische Hofastronomen ihren Kopf. Sie hatten versäumt, eine Sonnenfinsternis vorherzusagen. Nicht die fehlende Vorhersage soll Grund für eine solch' rabiate Form der Entlassung aus dem Staatsdienst gewesen sein, sondern die daraus resultierenden falschen Horoskope.

Formen der regelmäßigen Himmelsbeobachtung lassen sich historisch erstmals in der Zeit der Jungsteinzeit, des „Neolithikums“ greifen. Ausschlaggebend dürfte hier ein Vorgang sein, der in der Geschichtswissenschaft gerne als „neolithische Revolution“ bezeichnet wird, wobei der Begriff durchaus umstritten ist. Fakt ist, dass die bislang in kleineren Horden umherziehenden Menschen sesshaft wurden, Stämme oder Protostaaten bildeten und vor allem - Landwirtschaft betrieben. Und für die war und ist ein funktionierendes Kalenderwesen von größter Bedeutung (Zum Neolithikum vergl. etwa R. Maier, Jungsteinzeit, in: H.-J. Häßler, Ur- und Frühgeschichte in Niedersachsen, Stuttgart (1991) 109-154).

Allerdings können wir in diesem Stadium nicht von „Astronomie“ im Sinne der wissenschaftlichen Kenntnis-Erweiterung sprechen. Eine Interpretation des Beobachteten gab es nicht, die Grundaussage war ein Banales „es gibt diesen Stern und er steht an diesem Ort, dann woanders um an den Ursprung zurückzukehren“. Viele Kulturen verharrten auf dieser Entwicklungsstufe, auch wenn sie die Steinzeit längst überwunden hatten, die exakte chinesische Himmelsbeobachtung etwa bis in die frühe Industrialisierung. Allerdings sind diese Aufzeichnungen für die heutige Wissenschaft von unschätzbarem Wert, etwa bei der Überprüfung europäischer Himmelssichtungen wie dem Kometen 44 vuZ., der für die römische Propaganda von besonderer Bedeutung war.

Ich möchte hier an die Vorträge von Wilfried Ulrich im Mai des Jahres 2006 erinnern (W. Ulrich, Sternkunde der Azteken und Maya Teil II, Vortrag bei der AG Astronomie der VHS Buxtehude vom 11. Mai 2006). Er verwies auf die erstaunliche Exaktheit altamerikanischer Kalender. Diese Messgenauigkeit über viele Stellen hinter dem Komma ist der heutigen Wissenschaft bekannt, dennoch ist sie für die Einordnung der damaligen Astronomie irrelevant, sie dürfte den Betreibern nicht einmal bewusst gewesen sein, zeugt aber von ihrer hohen Beobachtungsgabe, mehr aber nicht. Hier eine Exaktheit im wissenschaftlichen Sinne zu vermuten, wäre reine Überinterpretation.

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Dieses neolithische Ganggrab befindet sich in Neu Ruthenbeck, Kr. Parchim. Wie die meisten Anlagen war es ursprünglich von einem Hügel verdeckt, dieser wurden jedoch häufig bereits in prähistorischer Zeit freigelegt, Bildquelle: W. Coblenz, (Hrsg.) Archäologische Denkmale und Funde, Berlin-DDR (1979).

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Eine graphische Übersicht über den Ablauf jungsteinzeitlicher Kulturen in Deutschland, Bildquelle: Wikipedia

Die außerordentlich wichtige Epoche des Neolithikums hinterließ als deutlichstes Zeichen in der heutigen Landschaft zahlreiche Steinsetzungen, die vielfach zur verwirrenden und wissenschaftlich ungenauen Bezeichnung „Megalith-Kultur“ führten .

Die Jungsteinzeit dauerte in Mitteleuropa von etwa 5.500 vuZ bis in die Zeit um 2.000 vuZ wobei ihr Beginn um so später eintritt, je nördlicher wir kommen. Eine homogene Kultur gab es im neolithischen Mitteleuropa nicht. Die in der Populärwissenschaft häufig verwendete Formulierung der Megalithkultur als einer Art “Supereuropa” vom Nordkap bis Gibraltar ist Utopie. Es gab verschiedene, wohl stammesorientierte Gesellschaften, die Ähnlichkeiten aufwiesen, aber keine kulturelle Einheit. Die regionalen Unterschiede sind deutlich erkennbar etwa an Keramik, Schmuck und der Art der Grablegung. Weit verbreitet war die so genannte „Hocker-Bestattung“ des verstorbenen Individuums mit angewinkelten Armen und Beinen.

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Ein Becher der Oderschnurkeramik-Kultur aus Schönermark, Kr. Angermünde, um 2500 vuZ., Bildquelle: W. Coblenz, (Hrsg.) Archäologische Denkmale und Funde, Berlin-DDR (1979).

Zwischen 2200 und 2000 vuZ datiert diese Bestattung mit für die Jungsteizeit typischer Körperhaltung (Hocker-Bestattung) in einem Steinkistengrab der Glockenbecherkultur. Aus Stedten, Kr. Eisleben, Bildquelle: W. Coblenz, (Hrsg.) Archäologische Denkmale und Funde, Berlin-DDR (1979).

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Diese regionalen Unterschiede gelten ergo auch für den Begriff „megalithische Astronomie“, der sich vor allem in der älteren Literatur immer wieder findet. Sie impliziert einen gesamteuropäisch homogenen Kulturraum, den es so nicht gegeben hat. Gerade diese Monumente werden immer wieder als Zeugen eines angeblich “hohen astronomischen Wissens” in dieser Epoche herangezogen, ihre Ausrichtung vor allem nach dem Sonnen- und Mondlauf scheint perfekt.

Zu perfekt, wie ich finde.

Zunächst ist eine eindeutige Zuordnung von Steinsetzungen in die Zeit der Jungsteinzeit nicht immer gesichert. Wenn sie neolithisch waren, dann sind sie häufig erst am Ende dieser Epoche einzuordnen, teilweise mit fließendem Übergang in die Bronzezeit, wobei auch in Europa dieser Übergang regional unterschiedlich stattfand.

Wenn der Betrachter heute vor den imposanten Hinterlassenschaft eines Megalith-Grabes steht, dann sollte er sich ins Gedächtnis rufen, dass diese Gebilde in den allermeisten Fällen bei ihrer Entstehung von Erdhügeln bedeckt waren, für den Einsatz als Kalender also recht unpraktisch.

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Das sog. Sieben Steinhäuser Steingrab in Oberndorfmark LdrKr. Soltau, Trichterbecher-Kultur, um 3500 vuZ, Bildquelle: Wikipedia

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NEO-Ganggrab-Linden-Pahlkrug

Im Landkreis Dithmarschen befindet sich das um 3000 vuZ entstandene Grab von Linden-Pahlkrug, Außenansicht (Bildquelle: Webseite Dithmarschen)

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Zwei Innenansichten des neolithischen Grabes von Linden-Pahlkrug, Bildquelle: Webseite Dithmarschen

Die Freilegung der Steinsetzungen erfolgte durch spätere Generationen, die Gründe dafür waren verschieden, wobei auch schon damals Neugier und/oder Mystifizierung der Vergangenheit eine Rolle gespielt haben dürften.

Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass selbst in späteren Zeiten freigelegte Steinsetzungen vermutlich nicht mehr im Originalzustand vorliegen, sie sind nicht „in situ“, so der archäologische Fachbegriff. Die massiven Steine wurden in späteren Epochen gerne wiederverwendet, häufig als Baustoffe. So finden sich etwa in den Fundamenten frühmittelalterlicher Kirchenbauten im steinarmen Norddeutschland immer wieder schwere Steine, die ursprünglich aus prähistorischen Steinsetzungen stammen. Mit der Wiederverwendung einzelner Elemente oder dem Auseinanderreißen ganzer Megalith-Gräber als Baustoff wurde in der Vergangenheit wenig zimperlich umgegangen.

Wettereinflüsse taten ihr Übriges. Steine wurden nach heftigen Regenfällen unterspült, stürzten um oder verwitterten.

 

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Die ursprünglich zwischen 2500 und 2000 vuZ in mehreren Baustufen errichtete Anlage von Stonehenge in ihrem rekonstruierten Zustand. Bildquelle: Adam Stanford

Und dennoch bieten sich viele Steinsetzungen - egal ob nun freigelegte Gräber oder Anlagen wie Stonehenge - dem heutigen Betrachter in perfektem Zustand, als hätte sich in den vergangenen tausenden von Jahren nichts verändert.

Ein Grund für den späteren Eingriff in neolithische Baustrukturen ist nicht einmal sehr alt. Im 19. Jahrhundert befand sich Europa in einer wahren Altertumseuphorie, nachdem mit der Archäologie ein völlig neuer Wissenschaftszweig entstanden war.

Wie dargelegt, befanden sie sich die meisten prähistorischen Denkmäler nach der Bauwut vergangener Epochen in bedauernswertem Zustand. Also wurden sie wieder errichtet, was nicht als „rekonstruiert“ verstanden werden darf.

Gerade bei Stonehenge dürfte auch der finanzielle Aspekt eine Rolle spielen. Zu den Sonnenwenden treffen sich dort tausende Esoterik-Touristen, die das Spektakel bewundern wollen und nebenbei Geld in der Region lassen. Nebenbei bemerkt: Einer der vielen Gründe, weshalb sich der Heritage als “Betreiber” der Anlage vehement gegen den Brexis und damit den Verlust von Besuchern aus EU-Ländern wehrt.

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Instandsetzungsarbeiten an der Anlage von Stonehenge, Foto aus den 1950er Jahren (Bildquelle: English Heritage)

Wenn wir also heute ein Megalith-Grab oder eine Steinsetzung betrachten, müssen wir uns immer wieder in Erinnerung rufen, dass die Zusammensetzung der Steine, ihre Stellung zueinander und die optische Erscheinungsform mit großer Wahrscheinlichkeit häufig nicht älter als maximal 150 Jahre sind, einige älter aber definitiv nicht mehr im original steinzeitlichen Urzustand.

Das gilt übrigens auch oder gerade für das exorbitant gelegene Stonehenge im südenglischen Whitshire. Praktisch steht in dieser Anlage definitiv kein Stein mehr in situ. Neben den von mir aufgezeigten Veränderungen wurde gerade in der Neuzeit an der Anlage immer wieder herumgebastelt. Diverse Änderungen durch die britische Denkmalorganisation English Heritage gab es bis nach 1970, bauliche Veränderungen in den Jahren 1901, 1919, 1958 und 1964 sind aktenkundig.

Dass Stonehenge, wie es heute aussieht und in dem Enthusiasten aus aller Welt bis hinunter in den Millimeterbereich Messungen durchführen nichts mit der ursprünglichen Anlage zu tun haben kann zeigt ein Bild des Landschaftsmalers John Constable (1776-1837) aus dem Jahr 1835.

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Deutliche Unterschiede: Stonehenge vor weniger als 200 Jahren in einem Bild von John Constable. Quelle: oppisworld.de

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Was genau die Heritage in den vergangenen Jahren an Stonehenge veränderte, ist nicht dokumentiert, bzw. es wurde der Öffentlichkeit nicht preis gegeben.

Durch diese fehlende Dokumentationen hat praktisch niemand eine Ahnung vom Wiederaufbau von Stonehenge in den vergangenen 100 Jahren, eine Rekonstruktion der Anlage in ihrer Entstehungszeit ist selbst mit Hilfe archäologischer Grabungen nur noch eingeschränkt möglich.

Somit müssen wir unterstellen, dass die immer wieder gerne gezeigten wirkungsvollen Bilder der aufgehenden Sonne über der Anlage letztlich eine Arrangement der Neuzeit sind. Selbst wenn die Anlage in der ursprünglichen Form nach astronomischen Gesichtspunkten errichtet worden war, so ist dies heute nicht mehr eindeutig nachweisbar.

Während für das 19. Jahrhundert wildgewordene Heimatforscher für Veränderungen zeichnen, darf in der jüngsten Vergangenheit durchaus ein Bestreben der im Vereinten Königreich nicht unumstrittenen English Heritage unterstellt werden, dem Wirtschaftsfaktor „esoterischer Massentourismus“ etwas nachzuhelfen.

Einen ganz anderen Hintergrund hatten bauliche Veränderungen hin zur „Astronomisierung“ von Steinsetzungen im nationalsozialistischen Deutschland einen konkreten politischen Grund. Ideologisch befanden sich die Nazis in einer Sackgasse (R. Heinrich, Astroarchäologie und Nationalsozialismus, Sternkieker 162, 1995/3, 118ff). Die „germanische Herrenrasse“ war allen anderen Völkern an Intelligenz und Tüchtigkeit weit überlegen, so die irrwitzige Lehrmeinung. De facto waren es jedoch südländische Völker - Griechen, Römer, Babylonier und andere orientalische Kulturen (darunter die als „rasseminderwertig“ bezeichneten Israeliten) - die die ersten europäischen und nahöstlichen Hochkulturen bildeten. Und das auch noch zu einer Zeit, in der das germanische, angebliche „Herrenvolk“ quasi noch auf den Bäumen hockte...

Alles eine Frage des Betrachter-Standortes: Sonne, Stonehenge und Hobby-Druiden in Linie. Bildquelle: dpa via Spiegel Online

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Ausbreitung der als ethnisch als germanisch geltenden Jastorf-Gruppe Bildquelle: Schlette, Germanen , a.0.

Die Archäologie kann „Germanen“ im ethnischen Sinne erst von etwa 600 vuZ an greifen. Als erste germanische Kultur gilt allgemein die Jastorf-Gruppe, nach einem Gräberfeld in Jastorf (LdKr. Uelzen) benannt. Sie erstreckte sich von der Unterweser und der Aller im Westen bis an die untere Oder im Osten (F. Schlette, Germanen zwischen Thorsberg und Ravenna, Leipzig (1974), 19).

In den Schriften vor und während des Nationalsozialismus jedoch wird der Begriff „Germanen“ häufig auf die gesamte Frühgeschichte Mitteleuropas bis hinunter in protoneolithische Epochen ausgedehnt. Das ist eine völlig verkehrte Annahme, die hier und da noch immer in der heutigen Literatur, zumeist durch Laienforscher aus Unwissenheit - wieder aufgegriffen wird.

Die bewusste „Germanisierung“ der gesamten jungsteinzeitlichen Kulturen Mitteleuropas leistete nicht nur den utopischen Gebietsansprüchen der Nazis Vorschub.

In Hinblick auf den postulierten astronomischen Hintergrund prähistorischer Steinsetzungen erlaubte sie einen Ausweg aus der Misere: Waren diese Anlagen doch deutlich älter als die antike Astronomie, somit die „germanische Kultur“ höher stehend als die so genannten Hochkulturen des Mittelmeerraums und Nahen Ostens.

Besonders in den Zeitschriften Germanien und Das Germanenerbe häufen sich in der Zeit nach 1933 Beiträge zum Bereich der germanischen Astronomie, beide Periodika wurden herausgegeben in enger Zusammenarbeit mit dem „Amt Rosenberg“, einer parteiinternen Organisation der NSDAP.

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Henlein-Zitat

Germanien bezeichnet sich als Zeitschrift aller Freunde germanischer Vorgeschichte, verantwortlich zeichnet ein Kuratorium unter Vorsitz des Reichsführers SS Heinrich Himmler. Deutlicher noch das Germanenerbe Der Untertitel lautet Amtliches Organ des Reichsbundes für Deutsche Vorgeschichte und des Amtes für Vorgeschichte des Beauftragten des Führers für die gesamte geistige und weltanschauliche Schulung und Erziehung der NSDAP. Den Einband der Ausgabe für das Kriegsjahr 1941 zum Beispiel ziert ein “Gedicht” von Konrad Henlein : Die Idee über uns, der Kamerad neben uns, der Gegner vor uns!

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Hier wird klar, dass viele Altertumsforscher jener Zeit nicht in ihrem berühmten „Elfenbeinturm“ weiterforschten, sondern klar auf ihre Weise das NS-Regime ideologisch unterstützten.

Während für Autor O.S. Reuter die „mächtige südeuropäische Kulturwelle das geistige Erbgut unseres germanischen Lebenskreises zu einem nicht unerheblichen Teil verdrängt hat” (O.S. Reuter, Germanien 1936, 97) verfolgt J. Riem die germanische Kulturgeschichte und Astronomie bis in die Zeit um 16.000 vuZ zurück und spricht von einem „unbegreiflich hohen Wissen und Können unserer nordischen Ahnen“ (J. Riem, Germanien 1933, 298).

Wissenschaftlich gesehen ist das gelinde ausgedrückt grober Unfug.

Nun sind natürlich nicht alle, die sich im Zeitraum 1933 - 1945 mit der germanischen Astronomie beschäftigten, gestandene Nazis. Viele von ihnen wurden, begünstigt durch eine gewisse wissenschaftliche Scheuklappenmentalität, Schlichtweg gesagt missbraucht. Zu ihnen zählt sicherlich Wilhelm Teudt, der 1942 im Alter von 80 Jahren verstarb. Er galt als Fachmann der so genannten „nordischen Astronomie“ und wird bis heute in Bezug auf die Erforschung der Externsteine zitiert (W. Teudt, Germanische Heiligtümer (1929). Praktisch verweisen uns archäologisch eindeutige Spuren an den Externsteinen jedoch ins frühe Mittelalter.

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Eine der Publikationen von Wilhelm Teudt

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Übersichtsaufnahme der Externsteine, Bildquelle: privat

Bereits der eher populärwissenschaftlich orientierte Autor Rudolf Pörtner stellte 1961 treffend über diese Arbeiten fest. „Das Endprodukt war ein visionär geschautes Wunschgermanien von erhebener Einfalt“ (R. Pörtner, Bevor die Römer kamen (1961), 393).

Rolf Müller, Autor des Werkes Der Himmel über dem Menschen der Steinzeit (R. Müller, Der Himmel über dem Menschen der Steinzeit (1970), findet sich bereits in den 1940er Jahren in der Zeitschrift Germanenerbe wieder. Dort berichtet er, verbunden mit einer Danksagung an NSDAP und Amt Rosenberg von den Ergebnissen der so genannten Islandexpedition (R. Müller, Germanenerbe 1940, 19). Kurz vor Kriegsbeginn, im Juli 1939 waren Wissenschaftler und Laienforscher auf die Insel gereist, um auch dort nach Überresten der nordisch-germanischen Astronomie zu suchen. Auch hier ein Beleg der geradezu rücksichtslosen Vereinnahmung anderer Kulturen. Island wurde durch die Wikinger besiedelt, rund 1000 Jahre nachdem Iulius Caesar den Begriff “Germanen” prägte.

Sich ernsthaft mit solchen Gedankengängen zu beschäftigen, entbehrt jeder Grundlage.

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Quasi in seinem Element wurde hier Alexander Thom hier zum Ziel der Kamera. Sein Lebenswerk der ‘Entschlüsselung’ Stonehenges bleibt umstritten. Bildquelle ArchAstr 8, 1985.

Zur Untermauerung der These einer neolithischen Einheitskultur in Europa wird gerne die so genannte „megalithische Elle“ herangezogen. Dabei handelt es sich um ein durch Alexander Thom (1894-1985) postuliertes Einheitsmaß, gültig für das gesamte neolithische Britannien (A. Thom, JournRoyStatSoc 125/2, 1962, 243-251).

Der Wert von 0,829 Metern basiert auf einer Vermessung von 145 Steinkreisen, wobei der Brite eine Fehlertoleranz von + 25 Zentimetern zuließ und nicht einmal sicher stellte, dass die von ihm verwendeten Bodendenkmäler auch wirklich neolithisch waren. Dann wurde solange herum gerechnet, bis eine Zahl heraus kam, die scheinbar in allen Steinkreisen vorhanden ist. Dabei wurde die Berechnung insofern vereinfacht, als dass Thom drei Stellen hinter dem Komma in Bezug auf die Maßeinheit „Meter“ zuließ.

Der bereits erwähnte Rolf Müller geht noch einen Schritt weiter, er erklärt diese Maßeinheit für allgemein gültig im gesamten Mitteleuropa bis hin auf die Iberische Halbinsel, findet gar seinen Wert tradiert in der spanischen „Vara“ (0,836 Meter), die bis in die Kolonisierung Südamerikas in Gebrauch war (R. Müller, Der Himmel über dem Menschen der Steinzeit (1970), 35). Dass jedoch Spanien und Portugal in der Zeit zwischen Neolithikum und Konquistadoren (immerhin schlappe 3000 Jahre) zahllosen Hochkulturen angehörten, u.a. Karthager, Römer und Araber, die alle ihre Spuren hinterließen, findet bei Müller keinerlei Berücksichtigung.

 

Unnötig zu erwähnen, dass diese „Methode“ des „Kleinsten Gemeinsamen Vielfachen“ mehr als umstritten ist. Mit ihr ist es möglich, zwischen allen Bauwerken der Welt Beziehungen herzustellen und seien diese noch so absurd. Selbst die Pyramiden von Gizeh und der Kölner Dom würden nach Berechnungen unter den Bedingungen Alexander Thoms einen gemeinsamen Wert beinhalten - doch niemand spricht von einer „colonoägyptischen Elle“. Die Tatsache, das beide Bauwerke Ähnlichkeiten haben (immerhin: sie laufen nach oben spitz zu !!!), wollen wir hier vernachlässigen.

Doch nicht nur in der Vor- und Frühgeschichte stößt man auf fehlgeschlagene Versuche, Bauwerken eine astronomische Ausrichtung anzudichten. In der Klassischen Archäologie („Mittelmeerarchäologie“) war es H. Nissen, der die Theorie aufstellte, antike Tempel seien astronomisch ausgerichtet gewesen und sogar ganze Städte hätten sich an diesen Ausrichtungsachsen orientiert (H. Nissen, Orientationen (1908)). Die von ihm angewandte Methodik wurde bereits durch von Gerkan klar widerlegt (A. v. Gerkan, Griechische Stadtanlagen (1924), 75). Hatte Nissen doch postuliert, der griechische Tempel sei zu dem Ort hin ausgerichtet, an dem am Tage der Tempelgründung die Sonne auf- oder unterginge. Da eine Reihe von Bauwerken tatsächlich weder eine westliche noch eine östliche Ausrichtung haben, ging Nissen im Verlauf seiner Arbeit dazu über, nunmehr auch die Längsseite als Anhaltspunkt anzunehmen. Von Gerkan bemerkte zu dieser Methode treffend:

...wenn das Prinzip der Sonnenorientation einmal durchbrochen ist, so bleibt es eine Willkür, nur diejenigen Tempel, für welche die Sonne nicht in Betracht kommen kann, nach Sternen zu richten, es könnten vielmehr beliebig viel andere aus der Zahl der Sonnentempel ebenfalls nach Sternen, unmittelbar oder quer, orientiert gewesen sein, oder gar nach dem Mondaufgang, womit unerschöpfliche Möglichkeiten geboten wären“ (A.v. Gerkan, a.O.).

Kurz: alleine die Vielzahl sichtbaren Himmelskörper macht es möglich, jedem Bauwerk eine astronomische Ausrichtung zu unterstellen, egal, wie absurd diese Annahme im Endeffekt auch ist.

Sowohl Thom als auch Nissen unterläuft ein weit verbreiteter Fehler bei astroarchäologischer Quellensuche: Die astronomische Bedeutung wird postuliert, und erst danach beginnt eine mathematische Betrachtung des Objekts, das dabei aus dem kulturellen Kontext völlig herausgelöst wird.

Es gab immer wieder Versuche, mittels der Präzessionsbewegung der Erde auf astronomischem Wege eine Datierung herbeizuführen.

Diese Kreiselbewegung der Erdachse bewirkt, dass ein bestimmtes Himmelsobjekt sich pro Jahr um 46 Bogensekunden in der Deklination und drei Sekunden in der Rektaszension verschiebt.

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Bildquelle: parallax.at

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Bildquelle: parallax.at

Die scheinbare Bewegung dieses in Pol in etwa 40.000 Jahren bewirkt, dass in etwa 12.000 Jahren die helle Wega (α Lyrae) den „Polarstern“ darstellen wird, bereits in 7.000 Jahren wird sich Deneb (α Cygni) im Bereich des Himmelsnordpols befinden. Zur Zeit Hipparch (um 190 vuZ – 120 vuZ), des Entdeckers der Präzession, stand der Frühlingspunkt im Sternbild Widder am Rande zum Sternbild der Fische (daher wird häufig vom „Widderpunkt“ gesprochen), befand sich bereits um Christi Geburt in den Fischen, hat diese bis heute weitgehend durchlaufen und wird um das Jahr 2600 den Wassermann erreichen. Übrigens ist dies eines der vielen Argumente, die die Astrologie ad absurdum führen.

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Bildquelle: parallax.at

 

Die Idee war nun, aus der Differenz von angenommener und tatsächlicher Ausrichtung zum Himmelsnordpol eine Differenz aufgrund der oben genannten Abweichung zu ermitteln. Dieser Wert wird in Jahre umgerechnet E.W. McKie et al., Brainport Bay: A Prehistoric Calendrical Site in Argylshire, Scotland, Archaeoastronomy 8, 1985, 53ff). Hiermit würde allerdings eher belegt, dass an der Anlage gebastelt wurde, um die Ausrichtung hin auf den Sonnenaufgang am Mittsommer zu erreichen.

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Bildquelle: E.W. McKie a.0.

Der Denkfehler ist offensichtlich:

Es wird postuliert, ein archäologisches Objekt sei in früheren Zeiten genordet bzw. auf einen bestimmten astronomischen Vorgang hin ausgerichtet gewesen. Wie jedoch kann man etwas voraussetzen für eine Berechnung, die eben diese Voraussetzung erst belegen soll?

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Relativ pünktlich zum „Jahrestag“ der hellen Supernova am 1. Mai 1006 legte der Astronom John Barentine eine Altindianische vermeintliche Darstellung dieser Sternexplosion vor (vergl. Spiegel Online 07.06.2006).

Auf der Jahrestagung der American Astronomical Society im kanadischen Calgary zeigte er eine Felszeichnung, die dem Stamm der Hohokam zugeordnet wird, nach heutigen Kenntnissen sesshaft zwischen 500 und 1100 uZ in den White Tank Mountains bei Phoenix.

Bildquelle: Apache Point Observatory via Spiegel-Online

Argumente für diese Vermutung sind die zeitliche Einordnung der Sterndarstellung, der Stern selbst und ein Skorpion an seiner Seite. Der Ort jener Supernova war die Konstellation Wolf (Lupus), die im Süden an den Skorpion angrenzt.

Doch das ist mehr als unbefriedigend.

Einzig das Vorhandensein des Fundes auf dem Stammesgebiet der Hohokam ist noch kein Beleg für ihre Urheberschaft, erst recht nicht für die Datierung - es sei denn, wir postulieren den Stern als jene Supernova 1006 und ordnen die Zeitsetzung dem unter, datieren also die Darstellung nach dem vermeintlich dargestellten Himmelsereignis.

Auch das zweite Argument spiegelt einen weit verbreiteten methodischen Fehler wider.

Die Bezeichnung der Sterne um Antares als Sternbild „Skorpion“ ist europäisch, folgt der griechisch-römischen Antike und zum Teil der arabischen Himmels-Einordnung. Diese galt jedoch nicht im präkolumbianischen Amerika, sie dürfte nicht einmal bekannt gewesen sein. Die heutige Allgemeingültigkeit der Bezeichnung von Sternbildern und -orten darf nicht darüber hinweg täuschen, dass andere Kulturen auch andere Sternbilder kennen, die Sterne am Himmel dort ganz anderen Figuren zugeordnet werden.

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Die Dunhuang-Sternkarte aus dem China des 7. Jh. uZ. Man beachte die zu Europa teilweise unterschiedliche Zusammensetzung der Konstellationen. Bildquelle: Wikipedia

Das gleiche gilt ebenso für die Betrachtung prähistorischer Darstellungen in Europa. Die Wahrscheinlichkeit, dass bereits die Steinzeit einer Himmelsordnung folgte, wie sie erst seit den ersten Jahrhunderten vuZ gültig ist, kann als äußerst gering bezeichnet werden. In wieweit es überhaupt eine allgemein gültige Zuordnung von Sternen zu Konstellationen gegeben hat, ist mehr als fraglich. In jedem Fall dürfte sie nicht nachweisbar sein.

Was ich nicht erklären kann, das seh' ich astronomisch an“. Es scheint eine allgemeine Tendenz zu sein, ungelöste so genannte „Rätsel der Archäologie“ automatisch im Bereich der Astroarchäologie anzusiedeln. Der vielfach beschworene abenteuerliche und mystische Aspekt der Archäologie, eher „Archäomanie“, die Suche nach dem Geheimnisvollen und die Flucht aus der Gegenwart sind Aspekte der Populärwissenschaft, die sich in der Astroarchäologie besonders niederschlagen.

Denn hier haben wir eine Symbiose aus zwei Wissenschaften, die in der Öffentlichkeit gerne geheimnisvoll und mystisch gesehen werden. Was für die Archäologie das „Alte“, ist für die Astronomie die „Unendlichkeit“.

Zusammenfassend scheinen mir folgende Aspekte im Hinblick auf das „Phänomen Astroarchäologie“ von Bedeutung zu sein:

Die dargelegten methodischen Fehler: der Versuch, mit den naturwissenschaftlichen Methoden der Astronomie an archäologische Objekte heranzugehen, wobei eine astronomische Bedeutung vorneweg postuliert wird, wie es etwa Nissen und Thom taten.

Astroarchäologie als Versuch, ideologisches Gedankengut mit wissenschaftlichen Argumenten zu absolutisieren: Der Glaube, dass die neolithischen und bronzezeitlichen vermeintlichen „Germanen“ eine hochstehende Astronomie besaßen, belegte für die NS-gesteuerte Geschichtsschreibung die kulturelle Überlegenheit im Kulturkampf.

Astroarchäologie als moderne Zivilisationsflucht: Die Verbindung zweier geheimnisvoller und abenteuerlicher Wissenschaften verhilft zur Flucht ins Irrationale, vergleichbar mit den Utopia-Gedanken des Science Fiction. Hinzu kommt der kommerzielle Aspekt: Wenn ein Interesse an Gegenwartsflucht und Utopia bereits vorhanden ist, kann es kommerziell auch genutzt werden, wie etwa der esoterische Tourismus um Stonehenge, dem durch neuzeitliche „Nachbesserungen“ nach dem zweiten Weltkrieg im Auftrag des Heritage nachgeholfen wurde.